Die Retrospektive

Das mächtigste Tool im agilen Prozess

Wir sind ja Fans davon, agile Frameworks und Rituale individuell an die Bedürfnisse von Unternehmen, Teams und Menschen anzupassen. Was wir allerdings immer wieder in Bezug auf die Retrospektive beobachten, ist wirklich erschreckend. Diese Meckerrunde hat nichts mehr mit dem zu tun, wofür dieses agile Ritual eigentlich gedacht ist. Traurig, denn sie ist eigentlich ein mächtiges Tool, um das Team Schritt für Schritt zu formen und die Arbeitsweise kontinuierlich zu verbessern. Die gute Nachricht: Sie kann wieder reanimiert werden, wenn agile Teams ins Stocken geraten sind.

Die Retrospektive am Ende eines Sprints

Am Ende eines jeden Sprints dient die Retrospektive – liebevoll von vielen auch Retro genannt – dazu, die bisherige Arbeitsweise im Team zu reflektieren, Ansätze zu identifizieren, die die Effizienz steigern, um sie dann im nächsten Sprint umzusetzen. Das Ziel: selbstorganisierte Teams, die ständig selbst ihre Effizienz und Zusammenarbeit verbessern! Wie wunderbar, wenn es in der Realität auch immer gleich so aussähe, aber sehen wir uns die Retrospektive dafür einmal genauer an.

In der Regel lädt der Scrum Master zu diesem Ritual ein und moderiert die Retro auch. Am besten er bleibt dabei neutral und beteiligt sich nicht am Input, denn die Teammitglieder sollen in einem geschützten Rahmen offen und ehrlich miteinander kommunizieren können. Führt der Scrum Master ein Teil des Teams auch disziplinarisch, ist das dafür eigentlich schon ein Hindernis.

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Die Moderation der Retrospektive erfordert Führungskompetenz

Ein Teammitglied ohne Führungserfahrung in dieser Rolle ist allerdings auch nicht optimal, denn bei fehlender Führungserfahrung, verkommt die Retrospektive schnell zu einer „Auskotzrunde“. Es ist ein absolutes No-Go, bei einer Retrospektive über störende Themen zu sprechen und die Runde ohne Aktionen zu beenden. Sie wird als sinnlos verstanden und die Bereitschaft zu einer aktiven Teilnahme nimmt bei allen Beteiligten rapide ab.

Oder der Fokus innerhalb der Retro richtet sich nicht auf die Abläufe innerhalb des Teams, sondern es werden vor allem äußere Umstände aufgezählt, die das Fortkommen behindern. Allerdings ohne Konsequenz. Denn neben der Führungskompetenz, fehlt einem Scrum Mastern direkt aus dem Team häufig die notwendige Durchsetzungskraft ins Unternehmen rein und den Teammitgliedern die Ressourcen, um nach außen signifikante Veränderungen herbeizuführen.

So bleiben Themen aus den Sprints wochen- oder monatelang unbearbeitet und die Motivation sinkt. „Passiert ja eh nichts“ – so der Eindruck. Eine sehr schlechte Entwicklung für die Wahrnehmung der Retrospektive. Oft wird ihre Sinnhaftigkeit komplett angezweifelt.

Konzentration auf „Quick Wins“ innerhalb der Retrospektive

Klar, viele Themen liegen außerhalb des Teams, die ihre Performance natürlich beeinflussen. Gerade bei großen Konzernen gibt es viele Schnittstellen zu anderen Bereichen und Prozessen, die das Team nicht so einfach verändern kann. Sicherlich sind diese Punkte langfristig auch wichtig und der Scrum Masters sollte sie an der richtigen Stelle platzieren, indem er beispielsweise zu einem Meeting im Management einlädt. Sie innerhalb des Teams lange umzuwälzen, verbraucht aber nur wertvolle Zeit und erhöht eher den Frust bei seinen Mitgliedern.

Konzentrieren sich die Team-Member stattdessen auf eigene Themen und Arbeitsweisen, auf Dinge, die sie selbst in der Hand haben, können sie mit diesen „Quick Wins“ ihre Motivation steigern. Dazu gehört beispielsweise die Urlaubsvertretung zu regeln, die Kommunikationskanäle innerhalb des Teams und ihren Gebrauch festzulegen, eigene Rituale auszugestalten oder auf die eigenen Fortschritte zu visualisierungen und gemeinsam sinnvolle KPIs festzulegen.

In der Retrospektive geht es um mehr als nur um Feedback

Wir kommen schonmal in Unternehmen, da wurde die Retrospektive gleich gar nicht erst etabliert. „Wir haben ja schon eine gute Feedbackkultur“, heißt es dazu. Kein Grund also, ein weiteres Ritual dafür einzuführen. Naja. In einer Retro zu einem konkreten Projektabschnitt oder am Ende eines Sprints nach Scrum geht es natürlich um Feedback genau dazu: Was lief gut und muss unbedingt beibehalten werden? Was war störend und darf nicht mehr weiterlaufen? Wo gibt es Verbesserungspotenzial? Diese Fragen werden bei einer Retro an die Teammitglieder gestellt und jeder muss dazu seine Meinung abgeben. Nimmt man sich für diese Fragen Zeit und Raum, kommen in der Regel wirklich wichtige Themen früh ans Licht und können bearbeitet werden. Und genau auf das Letzte kommt es an, denn es geht nicht nur um Feedback, sondern darum, zum Schluss einer Retro aus den Themen Aktionen zu machen – im besten Fall kurzfristige, nach dem SMART-Prinzip, die innerhalb des Teams lösbar sind.

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Von einer schwachen zu einer regen Beteiligung an der Retrospektive

Die Fragen, die wir oben aufgezählt haben, dienen vor allem als erste Denkanstöße für die Teammitglieder. Der moderierende Scrum Master sollte die Kommentare später diskutieren lassen und weiter nachhaken. Unerfahrenen Moderatoren raten wir, Regeln für die Retro aufzustellen und sich das Commitment und die Unterstützung vom Team zu sichern. Gerade technische Teams verlieren sich bei konkreten Problemen schnell in technisch tiefe Diskussionen. Dabei kann bei einer Teamgröße von sechs bis zwölf Personen schnell viel Zeit vergehen. Hier muss der Moderator auf die Timebox, also das vereinbarte Zeitlimit, achten und alle an die getroffene Vereinbarung dazu erinnern.

Gerade bei der ersten Einführung agiler Arbeitsweisen tun sich manche schwer, die Fragen ernsthaft zu beantworten. „Weniger krank sein! Haha, war ja nur ein Scherz. Mir viel nichts Besseres ein. Das letzte Sprintziel war nur kaum zu erreichen, weil ich ausgefallen bin.“ Dem Scrum Master kann es schnell passieren, solche Aussagen abzutun oder sich sogar zu ärgern, dass die Retrospektive nicht ernst genommen wird. Dabei steckt in der Aussage vermutlich ein wichtiger Kern, den es zu ergründen gilt: Warum ist das Sprintziel nicht mehr erreichbar, wenn nur ein Teammitglied ausfällt, was sicher häufiger vorkommt? Fehlte die Manpower oder eine bestimmte Qualifikation oder Expertise, die sonst niemand im Team abdeckt? Durch gezielte Nachfragen erkennen die Teammitglieder schnell, wo die eigentliche Ursache von Problemen liebt, beispielsweise darin, dass es Experten-Silos im Team gibt. Durch den eigenen Weg zur Erkenntnis, ist die Motivation umso höher, die Kompetenzen im Team breiter zu streuen. Es hat eine ganz andere Wirkung, wenn ein Mitarbeiter selbst eine Schulung machen möchte, als dass er vom Vorgesetzen erst dazu motiviert werden muss.

Sollte zu einem Thema wirklich gar nichts aus dem Team kommen kann der Moderator oder die Moderatorin:

Eigene Ideen als Beispiele bringen und fragen, wie das Team sie findet und sie dann gemeinsam verfeinern, bis sie vom Team als eigene Idee angenommen wird.

Ein Thema erst einmal parken – mit Zustimmung des Teams – und in einer späteren Retro nochmal besprechen. Nicht jedes Thema muss gleich angegangen werden.

Für wichtige Themen, für deren Lösung es einfach nur an Ideen fehlt, kann er oder sie eine separate Runde mit einem Brainstorming oder externen Experten mit dem Team ausmachen.

Der Blick von außen zur Reanimierung der Retrospektive

Wir haben schon viele Scrum Master erlebt, die bei der Moderation einen ausgezeichneten Job machen, aber leider auch häufig beobachtet, dass bei agilen Teams, die ins Stocken geraten sind, gerade dieses Ritual reanimiert und zu seinem ursprünglichen Zweck zurückgeführt werden musste. Damit es gar nicht erst so weit kommt, ist es sinnvoll, gleich zu Beginn agiler Projekte auf Externe zu setzen, die in Scrum ausgebildet sind und über ausreichend Führungserfahrung verfügen. Sobald ein gewisses Level an Eigenorganisation erreicht ist, kann sich der Scrum Master auch wieder zurückziehen, seine Moderations-Aufgaben an Teamkollegen übergeben oder daraus eine rotierende Aufgabe machen.  Dadurch können die Rituale zunächst ohne interne Verstrickungen etabliert werden und die Teammitglieder von Anfang an ihre Wirksamkeit erleben. Das macht einen Riesenunterschied und ist am Ende erfolgsentscheidend für die gesamte Zusammenarbeit.

Wir bilden Ihre SCRUM Master weiter!

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