Rollen richtig verteilen

„Wir sind jetzt agil!““

Vorab: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, agile Arbeitsweisen in einem Unternehmen zu integrieren. Die Scrum-Alliance-Methode definiert drei Rollen, die für die erfolgreiche Implementierung entscheidend sind:

Der Product Owner trägt – wie der Name schon erahnen lässt – die Verantwortung für das Produkt oder die Dienstleistung, die am Ende des agilen Prozesses stehen soll. Er organisiert den Arbeitsfluss im Team, führt das Product Backlog und priorisiert die Aufgaben, die es enthält. In den meisten Fällen wählt der Product Owner auch die Mitglieder des Entwicklungsteams aus.

Das gesamte Scrum Team hat neben den Aufgaben aus dem Backlog die übergeordnete Verantwortung, sich selbst zu organisieren, so produktiv wie möglich zu sein und die eigenen Praktiken immer wieder zu verbessern.

Die aus unserer Perspektive wichtigste Rolle hat in diesem Gefüge allerdings der Scrum Master. In vielen klassischen Definitionen ist er vor allem für das Rahmenwerk verantwortlich. Er führt die Prozessregeln ein, prüft, ob das Team sie einhält, und trifft Rücksprachen mit dem Product Owner. Er ist aber vor allem eine dienende Führungskraft. Das heißt, er ist nicht nur für die erfolgreiche Zusammenarbeit innerhalb des Teams verantwortlich, sondern muss auch äußere Hindernisse beseitigen, die dem Fortschritt des Teams im Weg stehen.

Aus der Scrum-Praxis: „Wir rollen das jetzt ganz groß aus!“

30 Minuten! Länger hat mein damaliger Chef nicht gebraucht, mich mit einer neuen Rolle und zusätzlichen Aufgaben aus seinem Büro zu entlassen. Er wusste, wie er mich motiviert: „Paul, das Management will konzernweit multifunktionale Teams einführen, die Arbeitsweise aber vorher testen. Hast du Lust, das Pilotteam zu leiten? Das Projekt ist ein Baustein der agilen Transformationsstrategie und steht im Fokus der Werksleitung.“

Wenn ein ausgeprägter Löwen-Typ (wie ich einer bin), dem Macht und Status wichtig sind, der schnell Karriere im Unternehmen machen will, von einem Pilotprojekt hört, das die Aufmerksamkeit des Topmanagements genießt, – dann stellt sich ihm die Löwenmähne auf. Es ist für ihn fast ein natürlicher Instinkt direkt auszurufen: „Ja Chef, mache ich gerne!“

Die Folge: Zusätzlich zu meinen Aufgaben als Stationsmeister mit 36 direkt unterstellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der Produktion, war ich nun auch noch Squad-Leiter für ein multifunktionales Team, bestehend aus sechs weiteren Kollegen verschiedener Abteilungen.

Theorie versus Umsetzung

Ich wurde nicht ganz ins kalte Wasser geschubst, sondern bekam inhouse an einem Wochenende eine Scrum-Alliance-Schulung, um die agile Arbeitsweise besser zu verstehen und die Rolle eines Scrum Masters übernehmen zu können. Allerdings hatte ich zum Glück zu diesem Zeitpunkt bereits sechs Jahre multifunktionale Teams geführt und wusste, Menschen als dienende Führungskraft – ganz ohne disziplinarische Macht – zu bewegen.

Agile Rollen sind in der Theorie, wie man oben bei den Rollenbeschreibungen sieht, eigentlich deutlich definiert. Und meistens auch mit dem Hinweis versehen, dass es sich dabei um eine Vollzeitaufgabe handelt. In der Praxis werden in den Unternehmen aber dann doch eigene Definitionen gebastelt. Sie werden teils sogar vermischt und einer Führungskraft als zusätzliche Aufgabe ohne die passende Motivation aufgedrückt. Rollen sind verteilt, ab jetzt sind wir agil!

Change-Projekte: Vom Kleinen ins Große

Aber zurück zur Arbeit mit meinem SQUAD, die noch ein anderes Learning beinhaltete. Wir entwickelten neue Arbeitsweisen, planten unsere Arbeitspakete und committeten uns, sie in kurzen Zeitzyklen abzuarbeiten. Wir haben Rituale eingeführt, uns regelmäßig über den Fortschritt oder über Probleme ausgetauscht, um bei Letzteren gleich passende Maßnahmen einleiten zu können. Wie nach Sprints üblich, haben wir auch die Retrospektive genutzt, unsere Arbeitsweise immer wieder zu optimieren.

Nach drei Monaten konnte das Pilotprojekt messbare Effizienzverbesserungen aufweisen. Ich erhielt mein erhofftes Lob aus dem Führungskreis, und die Arbeitsweise wurde im gesamten Segment ausgerollt.

Fünfzehn Stationsmeistern mit insgesamt über 400 Mitarbeitenden blüht nun das gleiche Schicksal. Die Einzelbüros der Meister werden zu Großraumbüros umgebaut, in denen nun verschiedene MFTs in Inselgruppen Platz haben. Ein großer Change-Prozess!

Das Ausrollen dauert weitere anderthalb Jahre und stößt auf viel Widerstand. Die Erfolgszahlen des Pilot-Teams werden nicht mal ansatzweise erreicht. Im Gegenteil: In vielen Teams wird geklagt, man hätte durch die neue Arbeitsweise Effizienzverluste, und die zusätzlichen Runden und Rituale wären reine Zeitverschwendung. Was war passiert?

 

Fürsprecher und Gegner großer Change-Projekte

Eine Studie hat kürzlich untersucht, ob es einen bestimmten Typ fürs agile Arbeiten gibt. Müssen Scrum Master immer viele Löwen-Anteile haben? Klar liegt die Vermutung nach meinen Ausführungen jetzt nah, dass beispielsweise die Löwen-Typen die neue Rolle als Scrum Master generell gerne annehmen und Gas geben, denn es bedeutet für sie eine Bühne sowie Aufmerksamkeit. Löwen werden sich auch freuen über weitere qualifizierte Mitarbeitende im Team, die ihnen durch die Veränderung unterstellt sind. Ähm, Moment… geht es nach agilen Prinzipien, sind die neuen Mitarbeiter nun eher auf Augenhöhe – was dem herrschenden Löwen ohne die nötigen Führungs-Skills schnell zum Verhängnis werden kann. Er ist also nicht automatisch der perfekte Typ für den Job.

Auch das gesellige Zebra fühlt sich bei dieser neuen Konstellation scheinbar besonders Wohl: „Yeah, neue Freunde im Team, mit denen man jetzt sogar offiziell über alles schnacken kann.“ Aber Achtung: Im beschriebenen Fall kann auch ein Zebra plötzlich Gegner der Transformation sein, wenn die Kollegen es sind, denn es neigt dazu, sie immer zu unterstützen.

Das Motto sogenannter Elefanten ist es, bloß nicht aufzufallen. Obwohl er durch seine Größe und Erfahrung im Grunde viel Raum einnehmen sollte, hält er sich bewusst so klein wie eine Maus, damit ihn keiner sieht. Was er weiß, und das ist eine Menge, teilt er gerne und jederzeit. Nur Veränderungen kann er nicht leiden und wird sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, seine altbewährte Komfortzone zu verlassen. Plötzlich Menschen führen, ohne die disziplinarische Hebel zu haben? Anstrengend! Im konkreten Fall war sein größtes Problem, das sichere Meisterbüro gegen ein Großraumbüro einzutauschen.

Die korrekten Kraniche werden sich dagegen genaustens über die Pflichten, die die neuen Rollen mit sich bringen, erkundigen. Und sie werden aufzählen, warum es nicht wie vorgeschlagen funktionieren wird.

Rollen richtig verteilen

Wichtig ist, die Rollen für den Change-Prozess von Anfang an richtig verteilen, den Mitarbeitenden für ihre jeweils neue Rolle genügend Zeit einräumen, und die Menschen typgerecht motivieren. Das gilt nicht nur für die kleinen Pilot-Teams, sondern erst recht bei der Skalierung. Löwen brauchen Skills des lateralen Führens ohne Weisungsbefugnis, sonst verbrennen sie das Team mit ihren einseitigen Forderungen. Sie brauchen ein klares Trainingsprogramm mit einer Roadmap, wie und wann sie diese Skills erlernen.

Holen Sie das Zebra früh genug ins Boot, und machen Sie es zu einem Change-Agent. Hat es zu Ihnen eine starke Bindung, wird es den Kollegen helfen, die Transformation anzunehmen. Elefanten brauchen eine überzeugende Darstellung, dass sich bei der neuen Rolle für sie im Grunde nicht viel verändert. Außerdem müssen Sie eine Verbindung zu einem höheren Sinn schaffen, – zum Beispiel, dass sich multifunktionale Teams schnell selbst helfen können und nicht ständig auf die Hilfe anderen Abteilungen angewiesen sind. Kraniche müssen Sie von Anfang an in die Rollenbeschreibung einbinden. Jede Abweichung von der Theorie muss plausibel beschrieben werden. Steht die Rollenbeschreibung einmal auf dem Papier und ist offiziell anerkannt, wird der Kranich diese neue Rolle zu Ihrer vollen Zufriedenheit ausfüllen.

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