Zusammenarbeit und Arbeitsweise ändern sich grundlegend in einer agilen Umgebung: Selbstorganisierte Teams ersetzen die funktionalen Silos einer traditionellen Organisation. Damit es erfolgreich sein kann, muss das jeweilige Team alle Experten und Expertinnen vereinen, die zu einer schnellen Problemlösung nötig sind.
Qualitätssicherung, Logistik, Mechanik, Elektrik… – bei komplexen Produktionsabläufen, wie dem Bau eines Flugzeugs, muss ein multifunktionales Team schnell eigene Entscheidungen treffen und durch einen „Quality Feedback Loop“ wiederkehrende Probleme im laufenden Betrieb abstellen können.
Damit das trotz der unterschiedlichen Sichtweisen im Team funktioniert, braucht es eine gemeinsame Mission, zu der sich jedes Mitglied committet.
Ich komme ganz schön ins Schwitzen. Nicht nur, weil ich bei gefühlten 40 Grad in Frankreich in einem alten Container-Großraumbüro stehe, in dem die Klimaanlage ausgefallen ist, statt mich im kühlen Atlantik zu erfrischen. Sondern auch, weil sich die Stimmung erhitzt und ich mir vorkomme wie ein Tierpfleger im Zoo.
Der Grund für die Aufregung: Die Produktion steht. Ein kleines unscheinbares Flugzeugbauteil wurde von unseren Kollegen in Deutschland fehlerhaft eingebaut und befindet sich dummerweise an einer Trennstelle, die den weiteren Montageprozess behindert.
Ich stehe wie immer morgens seit der Einführung mit meinem neu gegründeten multifunktionalen Team vor einem KPI-Board, um den aktuellen Produktionsstand zu visualisieren und zu besprechen, in welchem Bereich es nach Plan läuft und welche Probleme aufgetreten sind. Ingenieure, Mechaniker, Elektriker, Logistiker, sowie Kollegen aus der Qualitätssicherung, – alle notwendigen Experten sind im Team vertreten, um Hindernisse direkt aus dem Weg zu räumen. Und gerade heute, wo es darauf ankommt und die Luft brennt, versagt das Team. Mich eingeschlossen.
Dabei sollte die Lösung einfach sein: Bauteil ausbauen, neues Bauteil per Expresslieferung aus Deutschland bestellen und schnellstmöglich einbauen. Easy! Dachte ich …
Meine Kollegen sehen das leider anders: „Es gibt Prozesse, an die wir uns zu halten haben“, empört sich der Kollege aus der Qualitätssicherung. „Wenn die Qualitätssicherung das Bauteil aufgrund der Mängel nicht vorher ‚schrotschreibt‘, dürfen wir kein neues Teil beauftragen“, informiert mich die Kollegin aus der Arbeitsvorbereitung. „Und eine Expresslieferung mit dem Taxi kostet über 3.000 Euro – das Zehnfache der Bauteilkosten“, ergänzt der Logistiker. Wer so bekloppte Entscheidungen treffe, würde die gesamte Firma noch gegen die Wand fahren.
Und ich frage mich nur, warum man nicht einfach mal machen statt meckern kann. Einmal mit Profis zusammenarbeiten!
Dabei ist eigentlich klar: Change findet nicht von einem auf den anderen Tag statt. Die Mitglieder müssen sich an die Zusammenarbeit im selbstorganisierten Team gewöhnen, sich von den gelernten Regeln und Ritualen aus der eigenen Abteilung verabschieden. Ein Machtwort zu sprechen und mit disziplinarischen Mitteln zu drohen, um eine Lösung durchzudrücken, ist in so einem Stadium absolut kontraproduktiv. Besser: die Gegner und Befürworter der Transformation identifizieren.
Jede Veränderung bietet für eine besondere Spezies im Unternehmen DIE Chance, ins Rampenlicht zu rücken. Wegen der Chance auf die eigene Profilierung haben Sie diese stolzen Löwen bereits beim Aufbau der Agile Fundamentals auf Ihrer Seite. Natürlich nur, wenn Ihnen diese Motivation bewusst ist und Sie sich nicht aus Versehen dem Streben nach Macht und Anerkennung in den Weg stellen.
Außerdem gibt es noch die Zebras, wie ich die geselligen Typen nenne, die es lieben, im Team zu arbeiten und immer neugierige Blicke in andere Abteilungen und Bereiche werfen. Wer es schafft, zu ihnen eine emotionale Bindung aufzubauen, hat starke Partner, um die Harmonie im Team auszubauen und zu stärken.
Es gibt in Unternehmen eine Art, die Veränderungen überhaupt nicht mag und bei neuer Teambildung der ursprünglichen Abteilung gegenüber sehr loyal ist: die Elefanten. Ist ein Elefant aus einem anderen Team, zum Beispiel der Qualitätssicherung oder Logistik, wird er immer erst entsprechend zu dessen Gunsten handeln.
Ähnlich verhält sich der gewissenhafte Kranich, der Prozesse und Strukturen liebt. Vor allem, wenn sie sich bereits in der Vergangenheit bewährt haben. Es wird ihm schwerfallen, sich von ihnen zu lösen und neue Abläufe anzunehmen. Achtung, Totalblockade: Ist ein Kranich Ihnen nicht direkt unterstellt, sondern hat neben seiner Aufgabe im multifunktionalen Team noch ein anderes Team mit eigener Führungskraft, wird er Prozessabweichungen blockieren!
Führungskräfte eines multifunktionalen Teams haben über die Teammitglieder aus anderen Bereichen keinerlei disziplinarische Gewalt. Selbst wenn sie sie hätten, wäre es ein fataler Fehler, sie anzuwenden. Argumente und Inspiration sind dagegen die Mittel der Wahl. Und ja, es ist anstrengend, besonders zu Beginn der Transformation. Zudem abhängig davon, aus welchen Typen sich das Team zusammensetzt. Daher sind folgende Punkte gleich zu Beginn essenziell:
Hundertprozentiges Commitment aller Führungskräfte der beteiligten Abteilungen. Die Management-Kollegen und -Kolleginnen sollten von der Veränderung und deren Sinnhaftigkeit überzeugt und bereit sein, den nötigen Support zu liefern. Sie sollten die Fürsprecher im Team identifizieren und ihre Motive fördern. Sprich: Geben Sie dem Löwen eine Bühne, und bauen Sie zum „Team Zebra“ eine emotionale Bindung auf. Das gelingt, indem Sie offen über die Herausforderungen reden, vor denen Sie stehen.
Elefanten und Kraniche im Team zu haben, kann eine Bereicherung für den Bürozoo sein, wenn sie „artgerecht gehalten“ werden. Prozesse müssen sich verändern – Geben Sie dem Kranich die Aufgabe, die alten Prozesslücken (über die er sich sicherlich schon immer geärgert hat) zu beseitigen, wenn neue Prozesse eingeführt werden müssen. Er wird so Schritt für Schritt Teil der Veränderung und fängt an, seine perfekte neue Welt zu gestalten. Statt auf dem Elefanten Druck auszuüben, betonen Sie, was Kontinuität hat. Sorgen Sie zudem dafür, dass ihm die neuen Rituale eine Hilfe statt zusätzliche Arbeitslast sind.
Erst die Schuhe, dann die Hose! Das Ziel ist natürlich, dass Ihr multifunktionales Team selbstorganisiert arbeitet – das MFT soll ein SOT bilden. Vorher muss es jedoch erst einmal ein Team werden. Prozesse und Rituale müssen dafür fest verankert sein. Auch wenn es schwerfällt: Ein wenig Geduld schadet nicht.
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